Am 17.02.2022 hat das Oberverwaltungsgericht Lüneburg eine Information der Öffentlichkeit in Form einer behördlichen Warnmeldung als unzulässig beurteilt und die Behörde dazu verpflichtet, einen entsprechenden Eintrag auf dem Internetportal www.lebensmittelwarnung.de zu löschen. Zur Begründung verweist das OVG auf formelle Fehler im Rahmen der Anhörung, äußert sich allerdings u.a. auch zu den Anforderungen an die Widerlegung der Chargenvermutung und die Verhältnismäßigkeit einer derartigen Warnmeldung. Der Beschluss ist hier abrufbar.
 
Sachverhalt

Das Verfahren beruht auf einer Verbrauchermeldung, nach der in einem Hähnchennugget ein blauer Plastikfremdkörper gefunden worden sein soll. Die für den Herstellerbetrieb zuständige Lebensmittelüberwachungsbehörde hörte die Herstellerin zu einer geplanten Information der Öffentlichkeit an und gab ihr die Gelegenheit, eine derartige Information selbst zu gestalten. Nachdem die Herstellerin dies ablehnte, sprach die Behörde selbst eine entsprechende Warnung vor dem Produkt aus.

Bei dieser Warnung wurde allerdings nicht nur die Herstellerin als solche benannt. Vielmehr wurde auch das deutschlandweit tätige Einzelhandelsunternehmen, über das der Vertrieb erfolgte, in der Information der Öffentlichkeit namentlich benannt. Hiergegen wendete sich das Unternehmen unter Verweis auf die fehlende Anhörung. Darüber hinaus bezweifelte sie die Zuständigkeit der Behörde des Herstellers, das Vorliegen eines hinreichenden Verdachts für eine Gesundheitsgefahr und die Anwendbarkeit der Chargenvermutung.

Rechtlicher Hintergrund

Nach § 40 Abs. 1 LFGB soll die zuständige Behörde die Öffentlichkeit unter Nennung der Bezeichnung des Lebensmittels und des Lebensmittelunternehmers, unter dessen Name oder Firma das Lebensmittel hergestellt oder behandelt wurde oder in den Verkehr gelangt ist, informieren. Nach Abs. 2 dieser Regelung ist eine derartige Information nur zulässig, wenn andere ebenso wirksame Maßnahmen, insbesondere eine Information der Öffentlichkeit durch den Lebensmittelunternehmer nicht oder nicht rechtzeitig getroffen werden oder die Endverbraucher nicht erreichen. § 40 Abs. 3 LFGB stellt klar, dass zuvor eine Anhörung des Herstellers oder Inverkehrbringers zu erfolgen hat, sofern hierdurch die Erreichung des verfolgten Zwecks nicht gefährdet wird.

Nach Art. 14 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 gilt ein Lebensmittel als nicht sicher, wenn es gesundheitsschädlich oder für den Verzehr durch den Menschen ungeeignet ist. Im Hinblick auf die Gesundheitsschädlichkeit ist dabei nach Abs. 4 dieser Regelung u. a. die besondere gesundheitliche Empfindlichkeit einer bestimmten Verbrauchergruppe zu berücksichtigen, falls das Lebensmittel für diese Gruppe von Verbrauchern bestimmt ist. Nach Art. 14 Abs. 6 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 gilt eine komplette Produktionscharge als nicht sicher, wenn ein nicht sicheres Lebensmittel zu dieser Charge gehört, es sei denn, bei einer eingehenden Prüfung wird kein Nachweis dafür gefunden, dass der Rest der Charge ebenfalls nicht sicher ist, sog. Chargenvermutung.

Entscheidung

Das OVG Lüneburg hat zwar zunächst die Auffassung des Einzelhandelsunternehmens zurückgewiesen, dass die Zuständigkeit für den öffentlichen Rückruf nur bei seiner Heimatbehörde und nicht bei der Behörde des Herstellers liege. Die für den Hersteller zuständige Lebensmittelüberwachungsbehörde sei für die Information über ein von diesem Unternehmen hergestelltes oder behandeltes Lebensmittel ebenso zuständig und könne dabei auch über den Inverkehrbringer informieren.

Trotzdem war die Information der Öffentlichkeit im vorliegenden Fall aus formellen Gründen rechtswidrig. Insoweit verweist das OVG Lüneburg auf § 40 Abs. 3 LFGB, wonach eine Anhörung der Unternehmen zu erfolgen hat, die unmittelbar von der Information betroffen sind. Da neben der Herstellerin auch das Einzelhandelsunternehmen als Inverkehrbringerin genannt werde, hätte auch dieses Unternehmen angehört werden müssen. Dieser Mangel sei auch nicht geheilt worden. Äußerungen und Stellungnahmen von Beteiligten im gerichtlichen Verfahren würden nach höchstrichterlicher Rechtsprechung regelmäßig keine nachträgliche Anhörung darstellen, sondern seien in erster Linie auf den Fortgang des Rechtsstreits und nur ausnahmsweise auch auf die Änderung der materiellen Rechtslage gerichtet. Im vorliegenden Fall habe sich die Behörde zwar mit den Einwänden des Unternehmens inhaltlich auseinandergesetzt, es sei aber nicht erkennbar, dass dies im Sinne einer ernsthaften Überprüfung der getroffenen materiellen Entscheidung erfolgt sei und über die bloße Verteidigung der angefochtenen Entscheidung hinausgehe.

Vor diesem Hintergrund kommt das OVG Lüneburg daher zu dem Ergebnis, dass jedenfalls bis zu einer ordnungsgemäßen Nachholung der Anhörung die Information der Öffentlichkeit (formell) rechtswidrig gewesen ist und daher auch nicht erfolgen durfte.

Mit diesem Ergebnis hätte das OVG Lüneburg seine Entscheidung abschließen können. Zur Vermeidung zukünftiger gerichtlicher Auseinandersetzungen erläutert das Gericht dann jedoch, dass es eine entsprechende Internetveröffentlichung nach ordnungsgemäßer Anhörung im konkreten Fall für rechtmäßig hält.

Nach Ansicht des OVG Lüneburg lag nämlich ein hinreichender Verdacht der Gesundheitsgefahr vor, weil besonders für Kinder beim Verzehr von Hähnchennuggets ein Gesundheitsrisiko bestehe. Es orientiert sich dabei am Gefahrenbegriff des Ordnungsrechts und verweist auf die fehlende Erfahrung von Kindern beim Umgang mit und beim Verzehr von Lebensmitteln sowie auf den gravierenden Schaden, der schlimmstenfalls eintreten könne. Zudem könnten weitere Plastikteile, die sich möglicherweise noch in anderen Produkten befänden, erheblich kleiner sein.

Die Chargenvermutung hält das OVG Lüneburg für anwendbar, weil das Unternehmen, das die Beweislast trage, nicht klären konnte, an welchem Ort und auf welche Weise das Plastikteil in das Produkt gelangt sei. Daraus lasse sich gerade nicht folgern, dass der Rest der Charge sicher sei, weil die Herkunft des Fremdkörpers nicht abschließend geklärt wurde und daher nicht ausgeschlossen werden könne, dass weitere Plastikteile in die betreffende Charge gelangt seien. Weiter verweist das Gericht darauf, dass es sich nicht um einen vollständigen Fremdkörper handele und dieser vielmehr zwei Bruchkanten aufweise. Die Untersuchung „mehrerer Rückstellmuster“ sei zudem nicht ausreichend, um die Chargenvermutung zu widerlegen. Denn es sei nicht dargelegt, dass eine statistische Untersuchung in einem solchen Umfang stattgefunden habe, der den Schluss zulasse, dass es keine weiteren Verunreinigungen gibt.

Schließlich sei die Produktwarnung auch verhältnismäßig. Eine Information der Öffentlichkeit durch das betroffene Unternehmen sei nicht erfolgt. Der mögliche Imageschaden und die Umsatzeinbußen für das Unternehmen, die aus einer behördlichen Produktwarnung folgen könnten, seien zumutbar, da auf der anderen Seite das Risiko einer Beeinträchtigung der menschlichen Gesundheit vor allem bei Kindern berücksichtigt werden müsse.

Anmerkungen

Im Hinblick auf die Anhörungen der betroffenen Unternehmen ist dem OVG Lüneburg zuzustimmen. Denn es wird nochmals klargestellt, dass hierauf nicht einfach verzichtet werden kann, weil eine derartige Anhörung durch ein folgendes Gerichtsverfahren nachgeholt werden könne. Eine derartige Auffassung wird gelegentlich von Lebensmittelüberwachungsbehörden vertreten. Dem hat das OVG Lüneburg unter Verweis auf die obergerichtliche Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts eine klare Absage erteilt. Eine Heilung der unterbliebenen Anhörung im gerichtlichen Verfahren ist nur möglich, wenn sich die Behörde mit den vorgebrachten Argumenten tatsächlich auseinandersetzt und nicht lediglich die eigene Entscheidung verteidigt.

Im Hinblick auf die Anwendung der Chargenvermutung stellt das OVG Lüneburg fest, dass der Lebensmittelunternehmer, der die Chargenvermutung widerlegen möchte, in der Beweispflicht ist und hierzu die erforderlichen Tatsachen belegen muss. Im vorliegenden Fall war dabei insbesondere zu berücksichtigen, dass der fragliche Fremdkörper mehrere Bruchkanten aufgewiesen hat, was nach Auffassung des Gerichts dafür spricht, dass es weitere gleichgelagerte Fremdkörper geben muss. Da nicht geklärt werden konnte, wie der Eintrag erfolgt ist, ist es nachvollziehbar, hier die Chargenvermutung fortgelten zu lassen. Klargestellt hat das OVG Lüneburg aber auch, dass die Chargenvermutung widerlegt werden kann, wenn eine Stichprobenmenge überprüft wird, die unter statistischen Gesichtspunkten ausreichend ist.

Im Hinblick auf die Beurteilung der Gesundheitsgefahr war zu berücksichtigen, dass die fraglichen Hähnchennuggets in einer Form angeboten wurden, die insbesondere für Kinder ansprechend ist. Folglich hat das Gericht konsequenterweise auch die besondere gesundheitliche Anfälligkeit von Kindern beim Verzehr von Lebensmitteln berücksichtigt, was ebenfalls nachvollziehbar ist.

Auch wenn sich die Entscheidung nicht verallgemeinern lässt und eine Prüfung der konkreten Umstände des Einzelfalls erforderlich bleibt, liefert der Beschluss des OVG Lüneburg wichtige Anhaltspunkte für die Beurteilung gleichgelagerter Fälle durch die Gerichte.

 

Redaktion: Christian Weigel