Am 05.09.2022 hat die Arbeitsgruppe Fleisch- und Geflügelfleischhygiene und fachspezifischer Fragen von Lebensmitteln tierischer Herkunft (AFFL) der Länderarbeitsgemeinschaft Verbraucherschutz (LAV) ihre Rechtsauffassung zu einigen praktischen Auslegungsfragen betreffend die Verordnung (EG) Nr. 2073/2005 veröffentlicht.

Anhang I Kapitel I der genannten Verordnung enthält sog. Lebensmittelsicherheitskriterien, die für bestimmte Produktgruppen definiert sind. Unter anderem sehen die Produktgruppen 1.2 und 1.3 das Lebensmittelsicherheitskriterium Listeria monocytogenes für „andere als für Säuglinge oder besondere medizinische Zwecke bestimmte, verzehrfertige Lebensmittel“ vor, die die Vermehrung von Listeria monocytogenes begünstigen bzw. nicht begünstigen können.

Für die Kategorie 1.2 sind dabei zwei Grenzwerte vorgesehen, von denen der günstigere (max. 100 KbE/g) nur dann gilt, wenn der Hersteller zur Zufriedenheit der zuständigen Behörde nachweisen kann, dass das Erzeugnis während der gesamten Haltbarkeitsdauer den Wert von 100 KbE/g nicht übersteigt.

In der Praxis entstehen hinsichtlich der Einstufung von Lebensmitteln in eine der beiden genannten Produktkategorien sowie des anzuwendenden Grenzwertes immer wieder Diskussionen. Mit dem vorgenannten Beschluss hat die AFFL nunmehr erläutert, wie nach ihrer Auffassung eine Einstufung von Lebensmitteln in die entsprechenden Produktkategorien zu erfolgen hat.

In dem Beschluss teilt die AFFL mit, dass in Abweichung von der Auslegung des Europäischen Referenzlabors im Technical Guidance Document on challenge tests and durability studies for accessing shelf-life of ready to eat foods related to listeria monocytogenes, Version 4, ein Challengetest nicht ausreichend ist, um eine Einstufung eines konkreten Lebensmittels in die Lebensmittelkategorie 1.3 zu vollziehen, da es sich hierbei nicht um die in der zugehörigen Fußnote 8 genannte „wissenschaftliche Begründung“ handele.

Darüber hinaus hat die AFFL mitgeteilt, dass der Grenzwert für Lebensmittel von 100 KbE/g Listeria monocytogenes bis zum Ende der Haltbarkeit nicht auf einen Messwert zum beliebigen Zeitpunkt zwischen Ende der Herstellung und Ende der Haltbarkeit bezogen ist, sondern aus der Kumulation von Messwerten und der zu erwartenden Vermehrung bis zum Ende der Haltbarkeit zu berechnen ist.

Des Weiteren empfiehlt die AFFL für Lebensmittel, in denen während der Haltbarkeitsdauer ein begrenztes Listerienwachstum anzunehmen ist, dass die verantwortlichen Lebensmittelunternehmer entsprechende Zwischengrenzwerte für die Durchführung von Eigenkontrollen am Ende der Herstellung festlegen, um eine angemessene Bewertung der Sicherheit von kontaminierten Partien treffen zu können.

Im Nachgang zu dem Beschluss hat die AFFL der Wirtschaft nunmehr ergänzende Unterlagen zur Verfügung gestellt. Bei diesen handelt es sich um

  • einen Entscheidungsbaum zu der Einstufung von Produkten in die Lebensmittelkategorie 1.2 oder 1.3 gemäß den Anforderungen der Verordnung (EG) Nr. 2073/2005,
  • Checklisten für die Ermittlung der Challengetestwachstumsrate und des Wachstumspotenzials
  • sowie einen elf Seiten umfassenden Leitfaden zur „Prüfung der Eigenkontrollsysteme nach der Verordnung (EG) Nr. 2073/2005 zur Kategorisierung von Lebensmitteln im Hinblick auf das Vermehrungspotenzial für Listerien unter besonderer Berücksichtigung von Challengetests und weiterer Verfahren nach Anhang II (Kurztitel: Challengetests)“.

Ziel des Leitfadens ist es, Lebensmittelunternehmen und private Labore bei der Einstufung von verzehrfertigen Lebensmitteln in die Lebensmittelsicherheitskriterien 1.2 und 1.3 betreffend Listeria monocytogenes und die Festlegung ggf. erforderlicher Maßnahmen und Prüfungen zu unterstützen. Weiterhin dient er als Handreichung für zuständige Behörden bei der Bewertung der vom Lebensmittelunternehmer vorgelegten Informationen zur Überprüfung der Einhaltung der Vorgaben der Verordnung (EG) Nr. 2073/2005.

Der Leitfaden zeigt hierzu eine ausführliche Entscheidungskaskade auf. In einem ersten Schritt ist eine initiale Produktcharakterisierung anhand der spezifisch-chemischen Merkmale des Erzeugnisses vorzunehmen. Im Rahmen dieser Charakterisierung können für Produkte, die annähernd gleiche sicherheitsrelevante Produkteigenschaften aufweisen (z. B. Zusammensetzung, Herstellungsverfahren, physikalisch-chemische Merkmale, Haltbarkeitsdauer etc.), risikoorientiert Produktgruppen gebildet werden. Die Bildung der Produktgruppen ist für Behörden dann plausibel dargelegt, wenn die Erkenntnisse, die für ein Lebensmittel vorliegen, auf die weiteren Erzeugnisse der Produktgruppe nachvollziehbar und begründet übertragbar sind und keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die anderen in der Produktgruppe inkludierten Lebensmittel ein größeres Vermehrungspotenzial für Listeria monocytogenes besitzen als das geprüfte Lebensmittel.

Nach dieser initialen Produktkategorisierung erfolgt in einem zweiten Schritt eine Einordnung in die jeweilige Lebensmittelkategorie.

Weiterhin teilt die AFFL mit, dass unter „wissenschaftlichen Begründungen“, anhand derer Produktkategorien dem Lebensmittelsicherheitskriterium 1.3 zugeordnet werden können, keine Challengetests zu verstehen sind. Erforderlich ist für eine wissenschaftliche Begründung vielmehr, dass die Lebensmittel nach vordefinierten Standards hergestellt werden und für diese Standards im Rahmen publizierter wissenschaftlicher Studien (mit Review-Charakter) nachgewiesen wurde, dass das Wachstum von Listeria monocytogenes nicht begünstigt wird. Dies betreffe beispielsweise tiefgefrorene Lebensmittel während der Lagerung als Tiefkühlware sowie Lebensmittel mit einem Salzgehalt von über 16 % (in der wässrigen Phase). Für andere Lebensmittel- oder Produktkategorien sei in Deutschland derzeit davon auszugehen, dass keine vergleichbare Einstufung für andere Produktgruppen existiert.

Sodann weist die Projektgruppe darauf hin, dass Produkte, die in Schutzgasverpackungen verpackt wurden, einen zusätzlichen Hinweis gem. Art. 25 LMIV tragen sollen, der darauf hinweist, dass die Produkte nach dem Öffnen alsbald verzehrt werden sollen.

Die AFFL stellt darüber hinaus klar, dass für die Verifizierung der Einstufung in die Lebensmittelsicherheitskriterien 1.2 und 1.3 die drei Möglichkeiten der Challengetests, mathematischer Vorhersagemodelle sowie Haltbarkeitsstudien grundsätzlich gleichwertig nebeneinanderstehen. Bereits eine dieser zusätzlichen Untersuchungsarten könne ausreichen, um die notwendigen Informationen zu Wachstums- und Überlebensmerkmalen von Listerial monocytogenes während der Haltbarkeit zu erlangen. Möglicherweise sei jedoch auch eine Kombination dieser weitergehenden Untersuchungen notwendig, was im Einzelfall zu entscheiden sei.

Auch wenn der Leitfaden der AFFL-Projektgruppe keinen formellen Gesetzescharakter besitzt, handelt es sich um ein wichtiges Auslegungsdokument, das von Lebensmittelunternehmern, die verzehrfertige Lebensmittel herstellen, künftig zu berücksichtigen ist. Denn es ist zu erwarten, dass sich die Überwachungsbehörden bei der Kontrolle, ob der Lebensmittelunternehmer die Vorgaben der Verordnung (EG) Nr. 2073/2005 einhält, künftig eng an dem AFFL-Leitfaden orientieren werden. Unternehmern, die verzehrfertige Lebensmittel herstellen, ist daher dringend anzuraten, sich mit dem Leitfaden umfassend auseinanderzusetzen und die betriebsinternen Prozesse zur Einhaltung der Vorgaben der Verordnung (EG) Nr. 2073/2005 auf Grundlage des Leitfadens kritisch zu hinterfragen.

 

Redaktion: Dr. Clemens Comans