Am 04.10.2024 hat der EuGH in der Rechtssache C-438/23 entschieden, dass Anlehnungen in der Bezeichnung von pflanzlichen Alternativprodukten an übliche Begriffe aus anderen Bereichen, z. B. an Begriffe aus dem Fleischerzeugnisbereich, zulässig sind und es den Mitgliedstaaten aufgrund der Vollharmonisierung durch die LMIV verboten ist, Maßnahmen zu erlassen, die die Verwendung solcher Bezeichnungen regeln oder verbieten. Der Volltext der Entscheidung ist aktuell nicht in deutscher Sprache verfügbar.

Sachverhalt

Die französische Regierung hatte im Februar 2024 ein nationales Dekret erlassen, welches die Verwendung bestimmter für Fleisch und Fleischerzeugnisse üblicher Bezeichnungen für Produkte auf Basis von pflanzlichen Eiweißen verbot. Das Verbot sah vor, dass die im Dekret aufgeführten Begriffe auch dann für pflanzliche Alternativerzeugnisse unzulässig sind, wenn diese mit klarstellenden Zusätzen, wie z. B. „pflanzlich“ oder „aus Soja“, versehen sind. Bezeichnungen, die in dem Dekret genannt wurden, sind beispielsweise „Rumpsteak“, „Entrecôte“, „Steak“, „Schnitzel“, „Schinken“ etc.

Mehrere französische und europäische Verbände sowie u. a. auch ein internationales Unternehmen erachteten das Dekret als unionsrechtswidrig und klagten auf dessen Nichtigerklärung vor dem zuständigen französischen Gericht, das den Sachverhalt schließlich dem EuGH zur Klärung vorlegte.

Rechtlicher Hintergrund

Gem. Art. 9 Abs. 1 Buchst. a) i. V. m. Art. 17 Verordnung (EG) Nr. 1169/2011 (im Folgenden: „LMIV“) handelt es sich bei der Bezeichnung eines Lebensmittels um eine Pflichtangabe. Ein Lebensmittel muss grundsätzlich mit seiner rechtlich vorgeschriebenen Bezeichnung bezeichnet werden. Fehlt eine solche, so wird das Lebensmittel mit seiner verkehrsüblichen Bezeichnung oder, falls es keine verkehrsübliche Bezeichnung gibt oder diese nicht verwendet wird, mit einer beschreibenden Bezeichnung bezeichnet.

Eine rechtlich vorgeschriebene Bezeichnung ist eine Bezeichnung eines Lebensmittels, die durch die für dieses Lebensmittel geltenden Rechtsvorschriften der Union vorgeschrieben ist, oder, wenn es keine derartigen Unionsvorschriften gibt, die Bezeichnung, welche in den Rechts- und Verwaltungsvorschriften des Mitgliedstaats vorgesehen ist, in dem das Lebensmittel an die Endverbraucher oder Anbieter von Gemeinschaftsverpflegung verkauft wird (Art. 2 Abs. 2 Buchst. n) LMIV). Beispiele hierfür sind z. B. Milch, Fruchtsaft oder Schokolade.

Entscheidung

Der EuGH entschied nun, dass ein Mitgliedstaat es nicht allgemein verbieten kann, für Fleischprodukte übliche Begriffe auch für pflanzenbasierte Produkte zu verwenden, wenn es sich bei diesen Begriffen nicht um rechtlich vorgeschriebene Bezeichnungen handelt.

Zur Begründung verweist er zunächst ausführlich auf das Irreführungsverbot gem. Art. 7 LMIV sowie die Grundlagen zur Bezeichnung eines Lebensmittels gem. Art. 17 LMIV. Letzterer sehe vor, dass als Bezeichnung eine rechtlich vorgeschriebene Bezeichnung verwendet werden müsse, wenn eine solche existiere. Wenn es eine solche nicht gebe, könne eine verkehrsübliche oder eine beschreibende Bezeichnung verwendet werden. Die entsprechende Bezeichnung müsse dann präzise, klar und für die Verbraucher leicht verständlich sein und dürfe diese nicht irreführen.

Es sei einem Mitgliedstaat daher grundsätzlich unbenommen, eine rechtlich vorgeschriebene Bezeichnung einzuführen, um eine Verbindung zwischen einem speziellen Ausdruck und einem bestimmten Lebensmittel herzustellen.

Sodann stellt der EuGH fest, dass die angegriffene französische Regelung jedoch keine rechtlich vorgeschriebenen Bezeichnungen etabliere, sondern lediglich verbiete, bestimmte Begriffe zur Bezeichnung von Lebensmitteln mit bestimmten Eigenschaften zu verwenden. Dies sei im Ergebnis aber nicht gleichbedeutend mit einer Regelung, nach der Lebensmittel, die bestimmte Voraussetzungen erfüllen, mit bestimmten Begriffen in Form einer rechtlich vorgeschriebenen Bezeichnung versehen werden müssen. Nur letzteres gewährleiste jedoch den Schutz des Verbrauchers, der davon ausgehen können müsse, dass ein mit einer rechtlich vorgeschriebenen Bezeichnung bezeichnetes Lebensmittel die speziell für die Verwendung dieser Bezeichnung vorgesehenen Voraussetzungen erfülle.

Weiter führte der EuGH aus, dass nach dem Unionsrecht widerlegbar vermutet werde, dass im Einklang mit der LMIV erteilte Informationen die Verbraucher hinreichend schützen. Das gelte auch dann, wenn ein Lebensmittel mit einer verkehrsüblichen Bezeichnung oder einer beschreibenden Bezeichnung versehen ist und ein Bestandteil komplett ersetzt wurde, den Verbraucher und Verbraucherinnen bei einem Lebensmittel mit dieser Bezeichnung eigentlich erwarten dürfen. Dies ist im Ergebnis auf die Austauschregelung in Anhang VI Teil A Nr. 4 LMIV zurückzuführen, der vorsieht, dass bei Lebensmitteln, bei denen ein Bestandteil oder eine Zutat, von dem/der die Verbraucher erwarten, dass er/sie normalerweise verwendet wird oder von Natur aus vorhanden ist, durch einen anderen Bestandteil oder eine andere Zutat ersetzt wurde, die Bezeichnung des Lebensmittels mit einer deutlichen Angabe des Bestandteils oder der Zutat zu versehen ist, der/die für die teilweise oder vollständige Ersetzung verwendet wurde. Ergänzend weist der EuGH darauf hin, dass Behörden jedoch in Fällen der Verbraucherirreführung einschreiten und nachweisen können, dass die Vermutung widerlegt ist.

Schließlich führt der EuGH auch aus, dass ein Mitgliedstaat auch keinen Anteil an pflanzlichen Eiweißen festlegen dürfe, unterhalb dessen die Verwendung anderer als rechtlich vorgeschriebener Bezeichnungen für Lebensmittel, die pflanzliche Eiweiße enthalten, zulässig bleibe. Dem stehe die vollständige Harmonisierung, die durch die LMIV erfolgt sei, entgegen.

Anmerkung

Die Entscheidung des EuGH ist zu begrüßen und bestätigt im Ergebnis die seit Jahren auch in Deutschland geübte Kennzeichnungspraxis. Auch in Deutschland wurde bisher regelmäßig darüber diskutiert, ob und inwieweit in beschreibenden Bezeichnungen Anlehnungen an andere Begriffe, z. B. aus dem Fleischbereich, erfolgen dürfen.

Mit seiner aktuellen Entscheidung hat der EuGH nun in mehrerlei Hinsicht Klarheit geschaffen:

Mitgliedstaaten können rechtlich vorgeschriebene Bezeichnungen festlegen, wenn die entsprechenden Voraussetzungen hierfür gegeben sind.
Anlehnungen an Begrifflichkeiten aus anderen Bereichen, insbesondere an verkehrsübliche Bezeichnungen, sind rechtlich zulässig. Etwas anderes gilt nur dann, wenn die konkrete Aufmachung im Einzelfall irreführend ist.
Anlehnungen an rechtlich vorgeschriebene Bezeichnungen sind hingegen nicht möglich, auch nicht mit klarstellenden ergänzenden Hinweisen.

Gesetzlich vorgeschriebene Bezeichnungen existieren im Fleischbereich vor allem für bestimmte Tierartenangaben und insbesondere im Geflügelbereich für verschiedene Teilstücke (z. B. Brustfilet, Schenkel, Flügel etc.). Die in den Leitsätzen des Deutschen Lebensmittelbuches, z. B. den Leitsätzen für Fleisch und Fleischerzeugnisse, angegebenen Bezeichnungen sind dagegen verkehrsübliche Bezeichnungen. Insoweit ist nicht zu erwarten, dass der nationale Gesetzgeber diese oder andere verkehrsübliche Bezeichnungen aus dem Fleischbereich zeitnah zu gesetzlich festgelegten Bezeichnungen erhebt, weshalb davon auszugehen ist, dass die bisherige deutsche Kennzeichnungspraxis zulässig bleiben wird. Gleichzeitig steht mit der Entscheidung jedoch auch fest, dass Anlehnungen stets kritisch auf ein mögliches Irreführungspotenzial zu überprüfen sind.

Die Entscheidung des EuGH beschränkt sich dabei nicht nur auf den Fleischbereich, sondern betrifft auch Anlehnungen aus anderen Bereichen, sofern es sich dabei ebenfalls nicht um gesetzlich vorgeschriebene Bezeichnungen handelt. So ist nach den derzeitigen Regularien davon auszugehen, dass beispielsweise auch Bezugnahmen auf bestimmte Begrifflichkeiten aus dem Fischbereich auf Grundlage des EuGH-Urteils als zulässig zu erachten sind.

Nach wie vor verdeutlicht die Entscheidung des EuGH, dass bei der Wahl einer Bezeichnung im Sinne von Art. 17 LMIV für vegetarische oder vegane Fleisch- bzw. sonstige Alternativprodukte zu Erzeugnissen tierischen Ursprungs Sorgfalt geboten ist, um Beanstandungen zu vermeiden.

 

Redaktion: Prof. Dr. Clemens Comans