Mit Urteil vom 01.12.2022 (Rs C-595/21) hat sich der EuGH zu der Frage geäußert, was unter dem Begriff „Produktname“ nach der LMIV zu verstehen ist. Die Entscheidung ist hier abrufbar.

Sachverhalt

Das klagende Unternehmen ist ein deutscher Hersteller von Fleischerzeugnissen. Unter anderem stellt es eine Geflügel-Minisalami her, die mit Palmfett und Rapsöl hergestellt wird. Nach den Angaben im Sachverhalt der Entscheidung soll es sich bei dem eingesetzten Palmfett und Rapsöl um einen Ersatz für tierisches Fett handeln. Die so hergestellten Minisalamis werden als vorverpacktes Lebensmittel über den Einzelhandel unter der nach deutschem Recht eingetragenen Wort-/Bildmarke „BiFi The Original Turkey“ bzw. unter der nach Unionsrecht eingetragenen Bildmarke „BiFi The Original“ in den Verkehr gebracht.

Dem Unternehmen wurde von der zuständigen Kontrollbehörde untersagt, das in Rede stehende Lebensmittel ohne die Angabe der fraglichen Ersatzzutaten in unmittelbarer Nähe des auf der Vorderseite der Verpackung angebrachten Handelsnamens „BiFi The Original Turkey“ in den Verkehr zu bringen. Die Behörde war der Auffassung, dass sich diese Anforderung aus Art. 17 Abs. 5 i. V. m. Anhang VI Teil A Nr. 4 der Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 (LMIV) ergebe. Darin verwende das Gesetz den Begriff „Produktname“. Dieser Begriff sei nicht mit der (Verkehrs-)Bezeichnung des Lebensmittels identisch, sondern umfasse auch die in Art. 17 Abs. 4 der Verordnung genannten Begriffe „Handelsmarke“ und „Fantasiebezeichnung“. Deshalb verlange die von der LMIV in Anhang VI Teil A Nr. 4 genannte unmittelbare Nähe zum Produktnamen, dass der Hinweis auf die Ersatzzutaten im Zusammenhang mit dem Handelsnamen „BiFi The Original Turkey“ auf der Schauseite der Verpackung erfolge.

Gegen diese Anordnung hat sich das Unternehmen vor dem zuständigen Verwaltungsgericht zur Wehr gesetzt und vorgetragen, dass der Begriff „Produktname“ gleichbedeutend mit der Bezeichnung des Lebensmittels sei. Die Bezeichnung des Lebensmittels werde jedoch ausschließlich auf der Rückseite der Verpackung angegeben. Dort erfolge auch der Hinweis auf die Zutaten „Palmfett“ und „Rapsöl“. Insoweit laute die Bezeichnung nämlich „Geflügel-Minisalami mit Palmfett und Rapsöl“. Die Bestimmung aus Anhang VI Teil A Nr. 4 LMIV verlange nicht, dass die Vorderseite der Verpackung, auf der der Handelsname angebracht sei, durch die Angaben „mit Palmfett und Rapsöl“ ergänzt werde.

Das Verwaltungsgericht Ansbach hat das bei ihm anhängige Klageverfahren ausgesetzt und dem Europäischen Gerichtshof im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens die Frage zur Entscheidung vorgelegt, wie der Begriff „Produktname“ in der LMIV auszulegen ist.

Hintergrund

Nach Art. 7 Abs. 1 LMIV dürfen Informationen über Lebensmittel nicht irreführend sein. Hierzu gehört nach Buchst. d) u. a., dass nicht durch das Aussehen, die Bezeichnung oder bildliche Darstellungen das Vorhandensein eines bestimmten Lebensmittels oder einer Zutat suggeriert wird, obwohl tatsächlich in dem Lebensmittel ein von Natur aus vorhandener Bestandteil oder eine normalerweise in diesem Lebensmittel verwendete Zutat durch einen anderen Bestandteil oder eine andere Zutat ersetzt wurde.

Weiter bestimmt Art. 17 Abs. 5 LMIV, dass Anhang VI spezielle Vorschriften für die Bezeichnung eines Lebensmittels und die Angaben, die dazu zu machen sind, enthält. Anhang VI LMIV trägt die Überschrift „Bezeichnung des Lebensmittels und spezielle zusätzliche Angaben“ und gliedert sich in drei Teile. Teil A ist mit „Verpflichtende Angaben zur Ergänzung der Bezeichnung des Lebensmittels“ überschrieben.

In diesem Teil A findet sich Ziffer 4, nach der im Falle von Lebensmitteln, bei denen ein Bestandteil oder eine Zutat, von dem/der die Verbraucher erwarten, dass er/sie normalerweise verwendet wird oder von Natur aus vorhanden ist, durch einen anderen Bestandteil oder eine Zutat ersetzt wurde, die Bezeichnung – zusätzlich zum Zutatenverzeichnis – mit einer deutlichen Angabe des Bestandteils oder der Zutat versehen sein muss, der/die für die teilweise oder vollständige Ersetzung verwendet wurde und zwar in unmittelbarer Nähe zum Produktnamen (Buchst. a.)) und in einer Schriftgröße, deren x-Höhe mindestens 75 % der x-Höhe des Produktnamens beträgt und die nicht kleiner als die in Art. 13 Abs. 2 der Verordnung vorgeschriebene Mindestschriftgröße sein darf (Buchst. b)).

Entscheidung

Der EuGH stellt im Ergebnis fest, dass der Begriff „Produktname“ die (Verkehrs-)Bezeichnung des Lebensmittels ist.

In dem Zusammenhang führt der EuGH aus, dass der Ausdruck „Produktname“ ausschließlich in Anhang VI Teil A Nr. 4 der LMIV verwendet wird und in der Verordnung selbst nicht definiert wird. In einigen Sprachfassungen, wie etwa in der deutschen, weiche dieser Ausdruck stärker von dem in Art. 17 LMIV enthaltenen Ausdruck „Bezeichnung des Lebensmittels“ ab als in anderen Sprachfassungen. Auch in der französischen Sprachfassung sei eine vergleichbare Unterscheidung vorgenommen, während hingegen in anderen Sprachfassungen wie bspw. der spanischen, der tschechischen, der kroatischen oder der italienischen Sprachfassung nur geringfügige Unterschiede feststellbar seien. Bspw. sei in der englischen Sprachfassung von „name of the product“ einerseits und „name of the food“ andererseits die Rede.

Selbst wenn man also annehme, dass aufgrund der Verwendung unterschiedlicher Begriffe eine unterschiedliche Bedeutung denkbar sei, werde eine solche Auslegung durch die anderen Sprachfassungen gerade nicht bestätigt. Nach ständiger Rechtsprechung können die in einer der Sprachfassungen einer unionsrechtlichen Vorschrift verwendeten Begriffe aber nicht als alleinige Grundlage für die Auslegung dieser Vorschrift herangezogen werden.

Hinzu komme, so der EuGH, dass die Definition von „Lebensmitteln“ genüge, um daraus abzuleiten, dass der Unterschied zwischen dem in Art. 17 LMIV genannten Ausdruck „Bezeichnung des Lebensmittels“ und dem in Anhang VI Teil A Nr. 4 der Verordnung genannten Ausdruck „Produktname“ rein terminologischer Natur sei. Im Licht der Definition von „Lebensmittel“ könne der Begriff „Produktname“, auf den sich dieser Anhang VI Teil A Nr. 4 beziehe, nämlich nur „Name des Lebensmittels“ bedeuten. Daraus ergebe sich, dass die beiden in Rede stehenden Ausdrücke, also „Bezeichnung“ einerseits und „Produktname“ andererseits, so zu verstehen sind, dass sie denselben Inhalt haben.

Dieses Ergebnis gleicht der EuGH sodann auch mit systematischen Erwägungen ab. Insoweit nimmt der EuGH Bezug auf die Überschriften von Anhang VI einerseits und dessen Teil A andererseits, in dem sich die Regelung mit dem auslegungsbedürftigen Begriff „Produktname“ befindet. Anhang VI trägt die Überschrift „Bezeichnung des Lebensmittels und spezielle zusätzliche Angaben“. Teil A trägt den Titel „Verpflichtende Angaben zur Ergänzung der Bezeichnung des Lebensmittels“. Auch aus der Nennung des Begriffs „Produktname“ unter diesen Überschriften sei zu folgern, dass es sich insoweit um die Bezeichnung des Lebensmittels handele.

Abschließend weist der EuGH darauf hin, dass die LMIV das Ziel habe, ein hohes Verbraucherschutzniveau in Bezug auf das Recht der Verbraucher auf Informationen zu gewährleisten. Die Erreichung dieses Ziel bezweckten auch die streitgegenständlichen Regelungen. Entgegen dem Vorbringen der deutschen Behörde könne das Ziel des Verbraucherschutzes, das dem im Gesetz vorgesehenen Verbot der Irreführung der Verbraucher zugrunde liegt, jedoch auch erreicht werden, ohne dass der Verbraucher auf den Unterschied zwischen der tatsächlichen Zusammensetzung eines Lebensmittels und derjenigen, die er grundsätzlich erwarten dürfte, durch Angaben im Hauptsichtfeld aufmerksam gemacht werden muss. Um das Ziel der zutreffenden Verbraucherinformation zu erreichen, genüge es nämlich, dass die Bezeichnung des Lebensmittels sowie das Verzeichnis der Zutaten, aus denen es besteht, auf der Rückseite der Verpackung in zutreffenden, klaren und leicht verständlichen Worten aufgeführt werde.

Anmerkung

Die vorliegende Entscheidung ist zu begrüßen. Die Frage, was unter dem Begriff „Produktname“ zu verstehen ist, war auch schon in der Vergangenheit Gegenstand diverser Diskussionen.

So haben bspw. ALS und ALTS einen gemeinsamen Beschluss veröffentlicht. Dieser wurde mit den Beschlüssen der 80. Arbeitstagung des ALTS aus November 2017 unter TOP 03 veröffentlicht. Darin vertraten ALS und ALTS die Auffassung, dass es sich bei der „Bezeichnung des Lebensmittels“ und dem „Produktnamen“ um zwei voneinander zu unterscheidende Rechtsbegriffe handelt. Da die Imitatregelung aus Anhang VI Teil A Nr. 4 gewährleisten solle, dass der Verbraucher Imitate auf den ersten Blick erkennen könne, sei der „Produktname“ grundsätzlich die Angabe, mit der ein Lebensmittel blickfangmäßig bezeichnet werde und die den Verbraucher, ggf. auch unter Berücksichtigung der sonstigen Aufmachung, einen bestimmten Bestandteil oder eine bestimmte Zutat erwarten lasse.

Dieser Auslegung hat der EuGH nunmehr eine klare Absage erteilt. Im Gegenteil hat er entschieden, dass mit dem Begriff „Produktname“ lediglich die Bezeichnung im Rechtssinne gemeint ist. Davon zu trennen sind Handelsmarken und Fantasiebezeichnungen, die selbstverständlich nicht irreführend sein dürfen. Gleichwohl muss der erforderliche Hinweis auf eine Austausch- oder Ersatzzutat nach Anhang VI Teil A Nr. 4 LMIV ausschließlich in der Bezeichnung erfolgen, nicht aber im Zusammenhang mit einer Handelsmarke.

Insoweit ist zu erwarten, dass der gemeinsame Beschluss von ALS und ALTS aufgehoben wird. Somit zeigt sich ein weiteres Mal, dass es sich bei den entsprechenden Beschlüssen um unverbindliche Rechtsmeinungen handelt, die gerichtlich überprüfbar sind.

 

Redaktion: Sascha Schigulski