Lebensmittelunternehmer trägt Beweislast für ungeprüfte gesundheitsbezogene Angaben
Gesundheitsbezogene Angaben auf den Etiketten von und in der Werbung für Lebensmittel dürfen grundsätzlich nur verwendet werden, wenn sie in die sogenannte „Artikel-13-Liste“ der zugelassenen Angaben aufgenommen wurden. Art. 28 Abs. 5 der Health-Claims-Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 (HCVO) enthält jedoch eine Sonderregelung, nach der gesundheitsbezogene Angaben bis zur Annahme der Artikel-13-Liste unter der Verantwortung des Lebensmittelunternehmers verwendet werden dürfen, sofern die Angaben den Anforderungen der HCVO und den einschlägigen einzelstaatlichen Vorschriften entsprechen.
Zwar wurde die Artikel-13-Liste mit der Verordnung (EU) Nr. 432/2012 veröffentlicht. Es liegt jedoch eine Vielzahl von Anträgen auf Aufnahme in diese Liste vor, über die noch nicht entschieden wurde. Daher ist anerkannt, dass die Regelung des Art. 28 Abs. 5 HCVO auch für die gesundheitsbezogenen Angaben gilt, für die ein entsprechender Antrag rechtzeitig gestellt, jedoch noch keine abschließende Entscheidung über die Aufnahme in die Artikel-13-Liste getroffen wurde.
Der Europäische Gerichtshof hatte sich nun mit einem Fall zu befassen, in dem verschiedene solcher gesundheitsbezogenen Angaben verwendet wurden. Für das zuständige schwedische Gericht stellte sich die Frage, wer die Beweislast für die Übereinstimmung mit den Anforderungen der HCVO trägt und welche Nachweise zu erbringen sind. Darüber hinaus wurde die Frage aufgeworfen, ob die Regelungen der HCVO den Vorschriften zum unlauteren Wettbewerb vorgehen.
In seinem Urteil vom 10.09.2020 (Az.: Rs C-363/19) hat der Europäische Gerichtshof entschieden, dass die Beweislast für die Übereinstimmung mit den Anforderungen der HCVO beim Lebensmittelunternehmer liege. Dieser müsse insbesondere anhand allgemein anerkannter, wissenschaftlicher Nachweise belegen, dass das Vorhandensein des Nährstoffs oder der anderen Substanz, auf die sich die jeweilige Angabe beziehe, eine positive ernährungsbezogene oder physiologische Wirkung habe. Zwar müsse der Lebensmittelunternehmer hierfür keine eigenen wissenschaftlichen Studien erbringen oder vergleichbare Nachweise vorlegen. Er könne sich vielmehr auch auf die Nachweise beziehen, die sich in dem Dossier befinden, das zur Stützung des Antrags auf Aufnahme in die Artikel-13-Liste erstellt wurde. Darüber hinaus könnten auch Nachweise aus anderen Quellen herangezogen werden, sofern sie einen hinreichenden wissenschaftlichen Wert haben. Aus den Nachweisen müsse sich jedoch ergeben, dass eine objektive, wissenschaftliche Grundlage für die gesundheitsbezogenen Angaben besteht und es müsse ausreichende Einigkeit in der Wissenschaft über die positive Wirkung der Stoffe bestehen.
Die Verordnung regele nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofs damit zwar die Beweislast und das Beweismaß. Die Frage, welche Beweismittel zulässig seien, müsse jedoch nach den einschlägigen Vorschriften des nationalen Rechts geklärt werden.
Bezüglich des Verhältnisses zum Recht des unlauteren Wettbewerbs hat der Europäische Gerichtshof festgestellt, dass die Regelungen der HCVO im Bereich der gesundheitsbezogenen Angaben als spezielle Vorschriften Vorrang gegenüber den Regelungen über unlautere Geschäftspraktiken nach der Richtlinie 2005/29/EG bzw. den diesbezüglich erlassenen nationalen Regelungen haben.
Das vorliegende Urteil des Europäischen Gerichtshofs dürfte insbesondere im Bereich der Botanicals bedeutsam sein, da eine Vielzahl an Health-Claims zu Pflanzen und Pflanzenstoffen nicht abschließend bewertet wurde. Lebensmittelunternehmer, die diesbezügliche gesundheitsbezogene Aussagen auf ihren Lebensmitteln oder in der Werbung hierfür verwenden, sollten daher nochmals eingehend prüfen, ob ihnen ausreichende Nachweise vorliegen, um die Richtigkeit ihrer Aussagen belegen zu können und die ausreichende Einigkeit in der Wissenschaft nachzuweisen.
Redaktion: Christian Weigel