„Leitlinien für die Nutzung von Lebensmitteln, die nicht mehr für den menschlichen Verzehr bestimmt sind, als Futtermittel“
Im Amtsblatt der Europäischen Union (ABl. C 133 vom 16.4.2018, S. 2-18) hat die EU-Kommission am 16.04.2018 „Leitlinien für die Nutzung von Lebensmitteln, die nicht mehr für den menschlichen Verzehr bestimmt sind, als Futtermittel“ veröffentlicht (Bekanntmachung (2018/C 133/02)).
Ziel der rechtlich nicht bindenden Leitlinien ist es, die Nutzung bestimmter Lebensmittel mit oder ohne Erzeugnissen tierischen Ursprungs, die nicht mehr für den menschlichen Verzehr bestimmt sind, als Futtermittel zu erleichtern. Die Leitlinien sollen die nationalen und lokalen zuständigen Behörden und die Lebensmittelunternehmer entlang der Lebensmittelkette bei der Anwendung der einschlägigen Rechtsvorschriften der Union unterstützen.
Die Leitlinien lassen erstmals seit Inkrafttreten der Verordnung (EG) Nr. 1069/2009 die Rechtsauffassung der Kommission zu einigen wichtigen Fragen des Lebensmittel-, Futtermittel- und tierischen Nebenprodukterechts erkennen.
Einige der zentralen Aussagen der Leitlinien lauten wie folgt:
- Stoffe, die Bestandteile tierischen Ursprungs enthalten und für die Tierernährung verwendet werden sollen, fallen sowohl unter das tierische Nebenprodukterecht als auch unter das Futtermittelrecht. Dabei ist es nicht von Relevanz, wie groß der Anteil an Erzeugnissen tierischen Ursprungs ist. Teige, Backwaren, gebrauchtes Frittierfett etc., sind daher als tierische Nebenprodukte einzustufen, sofern sie Bestandteile oder Verunreinigungen tierischen Ursprungs enthalten und aus der Lebensmittelkette ausgeschlossen wurden.
- (Ehemalige) Lebensmittel, die nicht mehr für den menschlichen Verzehr bestimmt sind und aus Erzeugnissen tierischen Ursprungs bestehen, diese enthalten oder durch sie verunreinigt sind, dürfen nicht direkt für die Herstellung von Futtermitteln verwendet werden, sondern unterliegen stets zuerst den Vorschriften der Verordnung über tierische Nebenprodukte.
- Lebensmittel, bei denen das Mindesthaltbarkeitsdatum verstrichen ist, dürfen als Futtermittel verwendet werden, vorausgesetzt, sie erfüllen die Sicherheitsvoraussetzungen gemäß dem Futtermittelrecht und die Bestimmungen der Verordnung über tierische Nebenprodukte, wenn es sich um Lebensmittel handelt, die Erzeugnisse tierischen Ursprungs enthalten.
- Lebensmittel, bei denen das Verbrauchsdatum abgelaufen ist, sind nicht automatisch von der Verwendung als Futtermittel ausgeschlossen. Wenn der Lebensmittelunternehmer garantieren kann, dass das Lebensmittel mit dem abgelaufenen Verbrauchsdatum keine Gefahr für die Tiergesundheit und die öffentliche Gesundheit darstellt, ist es statthaft, dass es in die Futtermittelkette gelangt.
Besonderer Erwähnung bedarf auch, dass die Kommission in den Leitlinien Ausführungen zu der Abgrenzung zwischen der Einstufung eines Stoffes als Lebensmittel bzw. tierisches Nebenprodukt tätigt. In der Praxis wird von einzelnen Lebensmittelüberwachungsbehörden die Rechtsauffassung vertreten, dass ein nicht sicheres Lebensmittel i. S. d. Art. 14 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 (BasisVO) automatisch als tierisches Nebenprodukt i. S. d. Art. 3 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1069/2009 anzusehen sein soll.
Die Kommission stellt klar, dass ein Lebensmittel mit Bestandteilen tierischen Ursprungs nur dann zum tierischen Nebenprodukt werden kann, wenn zwei (konstitutive) Tatbestandsmerkmale vorliegen, nämlich
- ein Ausschluss aus der Lebensmittelkette vorliegt und
- die Zweckbestimmung, dass der Stoff für den menschlichen Verzehr verwendet werden soll, aufgehoben wurde (vgl. auch Art. 2 Abs. 1 Buchst. b) der Verordnung (EG) Nr. 1069/2009).
Die Herbeiführung der beiden vorgenannten Tatbestandsmerkmale kann durch den Verfügungsberechtigten freiwillig oder aufgrund einer gesetzlichen Verpflichtung hierzu erfolgen. Ein gesetzlicher Automatismus, durch den nicht sichere Lebensmittel zu tierischen Nebenprodukten werden, existiert hingegen nicht.
Kritik
So sehr die Klarstellung zur Abgrenzung zwischen Lebensmitteln und tierischen Nebenprodukten einerseits zu begrüßen ist, umso mehr ist andererseits zu kritisieren, dass die Kommission in ihren Ausführungen nicht ausreichend zwischen der allgemeinen und der konkreten Zweckbestimmung eines Stoffes unterscheidet.
Gemäß Art. 2 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 handelt es sich bei einem Lebensmittel um alle Stoffe oder Erzeugnisse, die dazu bestimmt sind (konkrete Zweckbestimmung), oder von denen nach vernünftigem Ermessen erwartet werden kann, dass sie in verarbeitetem, teilweise verarbeitetem oder unverarbeitetem Zustand vom Menschen aufgenommen werden (allgemeine Zweckbestimmung).
Ein allgemein zum Verzehr bestimmter Stoff verliert erst dann seine Lebensmitteleigenschaft, wenn eindeutig erkennbar und zweifelsfrei feststeht, dass der Stoff unter keinem Gesichtspunkt mehr zum menschlichen Verzehr bestimmt ist. Für den Verlust der Lebensmitteleigenschaft muss die Möglichkeit, den Stoff noch zum Essen oder Trinken zu verwenden, endgültig ausgeschlossen sein.
Ein Stoff, der umgekehrt nicht allgemein zum menschlichen Verzehr bestimmt ist, kann auf Grund einer konkreten Zweckbestimmung des Verfügungsberechtigten zum Lebensmittel werden. Diese Absicht muss nur äußerlich erkennbar hervortreten, z. B. durch die Verarbeitung zu einem Lebensmittel oder durch Anbieten als Lebensmittel durch eine entsprechende Bezeichnung oder Aufmachung, falls nicht das äußere Erscheinungsbild schon von vornherein auf die Eignung zum Essen oder Trinken hinweist. Mithin können auch Stoffe, denen die allgemeine Bestimmung, von Menschen verzehrt werden zu können, fehlt oder die im Allgemeinen eine andere Zweckbestimmung haben, zu Lebensmitteln werden.
Das von der Kommission in Bezug genommene Beispiel eines abgelaufenen Verbrauchsdatums ist daher unglücklich gewählt, weil es zu der Annahme verleitet, dass ein Lebensmittel, dessen Verbrauchsdatum abgelaufen ist, seine Lebensmitteleigenschaft verliert – dessen konkrete und allgemeine Zweckbestimmung also aufgehoben würde.
Dem ist jedoch tatsächlich nicht so. Der Ablauf des Verbrauchsdatums besagt nichts über die allgemeine oder konkrete Eignung des Stoffes zum menschlichen Verzehr. Gemäß Art. 24 Abs. 1 S. 2 der Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 gelten Lebensmittel mit abgelaufenem Verbrauchsdatum lediglich als nicht sicher i. S. v. Art. 14 BasisVO (gesetzliche Fiktion). Die Folge dieses Umstandes ist ein Inverkehrbringungsverbot, das die Lebensmitteleigenschaft jedoch unberührt lässt. Ein Lebensmittel hört nicht auf, Lebensmittel zu sein, weil dieses nicht sicher ist. Selbst ein gesundheitsschädliches Erzeugnis ist Lebensmittel, wenn es zum Verzehr durch den Menschen bestimmt ist. Gerade auf solche Produkte beziehen sich insbesondere die Art. 14 und 19 der BasisVO, die bei einer gegenteiligen Rechtsauffassung leerlaufen würden. Weiterhin gilt es zu berücksichtigen, dass nicht sichere Lebensmittel grundsätzlich einer weiteren Behandlung unterzogen werden dürfen, um diese wieder zu einem sicheren Lebensmittel zu machen.
Im Ergebnis ist festzuhalten, dass nicht sichere Lebensmittel trotz ihrer fehlenden Sicherheit Lebensmittel bleiben. Nur wenn diese Bestandteile tierischen Ursprungs enthalten und ein Ausschluss aus der Lebensmittelkette unter gleichzeitiger Aufhebung der allgemeinen und konkreten Zweckbestimmung als Lebensmittel erfolgt, handelt es sich bei einem solchen Stoff um ein tierisches Nebenprodukt.
Stand: 23.04.2018
Redaktion: Dr. Clemens Comans, Rechtsanwalt, Gummersbach, info@cibus-recht.de