Zeitpunkt der Verfügbarmachung von Pflichtinformationen über Lebensmittel bei „Online-Bestellungen“
Kammergericht Berlin, Urteil v. 23.01.2018, Az.: 5 U 126/16
Sachverhalt:
Ein Lieferservice bot seinen Kunden über einen Onlineshop diverse Lebensmittel zur Auswahl an. Im Onlineshop des Lieferservice fehlten bei diversen Lebensmitteln verschiedene Pflichtangaben gem. der Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 (LMIV) z. B. Zutatenverzeichnis, Allergene etc., die gem. Art. 14 LMIV vor Abschluss des Kaufvertrages verfügbar gemacht werden müssen.
Gemäß den zugrundeliegenden AGB kam mit Kunden, die nach Auswahl der Lebensmittel auf den Button „Jetzt bestellen“ klickten, kein Kaufvertrag zustande. Die bestellten Lebensmittel wurden anschließend dem Kunden geliefert. Der Kaufvertrag über die Lebensmittel wurde gem. AGB erst an der Haustür des Kunden durch deren Annahme geschlossen. Dem Kunden stand es zudem frei, die Annahme einzelner oder aller Lebensmittel kostenfrei abzulehnen.
Mit der Bestellung verpflichteten sich Kunden des Lieferservice jedoch dazu, eine Lieferpauschale zu zahlen, auch wenn sie von ihrem Abstandsrecht Gebrauch machten und keines der bestellten Lebensmittel annahmen.
Hiergegen klagte die Verbraucherzentrale Bundesverband.
Das Landgericht Berlin entschied erstinstanzlich, dass es gem. Art. 14 LMIV ausreichend sei, wenn die Pflichtinformationen „vor dem Abschluss des Kaufvertrages“ verfügbar seien, was mit der Anlieferung der Waren an der Haustür des Verbrauchers geschehen sei. Denn der Verbraucher könne die Lebensmittel zu diesem Zeitpunkt prüfen und sodann eine Kaufentscheidung treffen.
Entscheidung:
Das Kammergericht (KG) Berlin teilte diese Auffassung nicht und entschied, dass der Lieferservice seine Kunden vor einer mit Kosten verbundenen Bestellung im Internet über die Zutaten der angebotenen Lebensmittel und die darin enthaltenen Allergene informieren muss. Zur Begründung führte das KG aus, dass der Verbraucher in der Haustürsituation regelmäßig unter Zeitdruck stehe und es diesem aufgrund der räumlichen Enge der Auslieferung nicht zumutbar sei, die Informationen auf den Lebensmitteln zur Kenntnis zu nehmen. Die Pflichtinformationen müssten verfügbar sein, bevor der Verbraucher die Bestellung im Onlineshop aufgebe. Das gelte auch dann, wenn die Bestellung der Lebensmittel nach den AGB zwar kostenfrei und nur hinsichtlich der kostenpflichtigen Lieferung bindend sei. Weiterhin erhalte der Verbraucher die Pflichtangaben zu den bestellten Lebensmitteln nicht kostenlos, sondern erst nach der Verpflichtung zur Zahlung der Liefergebühr, die in jedem Fall bei Bestellung fällig werde.
Kommentar:
Die Entscheidung des KG Berlin leidet an dogmatischen Mängeln. Das KG Berlin verkennt, dass die Maßgaben der Verbraucherrechterichtlinie 2011/83/EU bei der Auslegung des Art. 14 LMIV zu berücksichtigen sind, um systematische Brüche der Informationspflichten im Bereich des Fernabsatzes zu vermeiden. Art. 14 LMIV stellt eine lebensmittelrechtliche lex specialis Regelung des allgemeinen Fernabsatzrechts nach der o. g. Richtlinie dar. Nach der Systematik der Fernabsatzregelung bedarf es nur dann einer Informationspflicht, wenn auch tatsächlich die Möglichkeit eines Geschäftsabschlusses im Fernabsatz besteht (vgl. Erwägungsgrund 20 der Richtlinie). Ist dies nicht der Fall, z. B. bei klassischen „click&collect“- oder „click&deliver“- Konstellationen, bei denen keinerlei Gebühren erhoben werden, besteht keine Informationspflicht gem. Art. 14 LMIV.
Im Ergebnis ist der Entscheidung des KG Berlin jedoch beizupflichten. Entscheidend war im vorliegenden Fall, dass Kunden sich bei der Bestellung im Onlineshop rechtsverbindlich dazu verpflichteten, die Liefergebühr zu zahlen. Damit kam ein Fernabsatzvertrag zustande, mit der weiteren Folge, dass sowohl die allgemeinen Regelungen des Fernabsatzrechts als auch die spezielle Regelung des Art. 14 LMIV anwendbar war.
Die Entscheidung des KG Berlin zeigt einmal mehr, dass Unternehmer bei der Erstellung und Umsetzung ihrer Online-Vertriebskonzepte für Lebensmittel gründlich prüfen müssen, ob sie den spezifischen Anforderungen des Art. 14 LMIV unterliegen oder nicht.
Das Urteil des KG Berlin kann auf der Internetseite der Verbraucherzentrale Bundesverband abgerufen werden.
Stand: 01.04.2018
Redaktion: Dr. Clemens Comans, Rechtsanwalt, Gummersbach, info@cibus-recht.de